Unterm Rad- die Wunden des Krieges

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Was blieb übrig?

Genau 30 Jahre nachdem die Olympische Flamme im Jahre 1984 in Sarajewo erleuchtete, beginnt das Land wieder zu brennen. Damals vermittelte die jugoslawische Teilrepublik Bosnien- Herzegowina das Bild eines florierenden multiethnischen Landes mit einer funktionierenden Industrie und einem beneidenswertem Sozialsystem.

10 Jahre nachdem das Land die Blicke der Welt auf sich zog, lag es in Schutt und Asche. Die fast 50 Jahre alte sozialis- tische föderative Republik Jugoslawien zerfiel. Mehr als 100.000 Menschen fielen dem Bosnienkrieg von 1992–1995 zum Opfer, einer der schrecklichsten Kriegs- schauplätze des 20 Jahrhunderts. Was blieb übrig? Belagerte, zerstörte Städte, Konzentrationslager und Massengräber – Alles Opfer des Nationalismus, Europa sah nichts tuend zu.

Um die Ausschreitungen im Februar 2014 in Bosnien nachzuvollziehen, muss man die Problematik der Multiethnizität verstehen. Bosnien hat 3,8 Millionen Ein- wohnerinnen und Einwohner, darunter 48% (muslimische) BosniakInnen, 37,1% (orthodoxe) SerbInnen und 14,3% (katho- lische) KroatInnen. In der Geschichte des Landes kam es immer wieder zu Kon- flikten zwischen den Ethnien. Um diese Konflikte zu verhindern, wurde das Land mithilfe des Dayton-Abkommens in zwei Föderationen unterteilt: Die Bosniakisch- Kroatische Föderation von Bosnien- Herzegowina, die 50% des Territoriums ausmacht und die Serbische Republik, die 49% des Territoriums ausmacht. 1% des Territoriums entfällt auf den Brcko-Dis- trikt, der als territorialer Puffer geschaf- fen wurde. Das Land wird zentralistisch regiert. Die Regierung rotiert zwischen den Ethnien, sodass nach 3 Regierungs- perioden jede Ethnie einmal regiert hat. Zudem hat jede Föderation eine eigene Regierung mit eigenen Ministerinnen und Ministern.

Die Wunden des Krieges heilen nur lang- sam. Der gegenseitige Unmut der Regie- rungen ist groß, was sich in der Situation im Land widerspiegelt. Die BosniakInnen wollen einen starken Zusammenhang der Föderationen, die SerbInnen wollen mehr Souveränität oder gar die Unabhän- gigkeit und einen Zusammenschluss mit der Republik Serbien, und die KroatInnen wollen ihren politischen Einfluss stärken.

Die Menschen wollen Veränderungen

Die derzeitige Politik aber bietet den Men- schen keine Perspektiven. Im ehemaligen Jugoslawien etablierte sich die Stadt Tuzla als eines der industriellen und kulturellen Zentren. Seit 1995 wurden viele Unter- nehmen privatisiert und gingen bankrott. Am 4. Februar begannen genau hier die ersten friedlichen Proteste, weil den ArbeiterInnen aufgrund der zahlreichen Entlassungen der Kragen platzte. Die Proteste breiteten sich wie ein Lauffeuer aus und erreichten alle größeren Städte, nur die serbische Republik blieb weit- gehend von den Protesten verschont. Regierungsgebäude und Autos wurden in Brand gesteckt, Straßen wurden blockiert, PolitikerInnen entführt.

Die Bilanz der Proteste: 370 Verletzte und 38 Verhaftungen. Die Unruhen sind seit 10. Februar vorbei, die Proteste gehen weiter. Die BürgerInnen haben durch die Proteste die Aufmerksamkeit der Regierung(en) erhalten. Die Hauptforde- rungen der Protestierenden sind in einem Fünf-Punkte Katalog niedergeschrieben worden: Politische Reformen, Rücktritt der Regierung und Installation einer parteilosen Regierung, Verbesserungen des Lebensstandards, die sogenannte ,,kriminelle Privatisierung” von Staats- betrieben rückgängig machen und die ,,Wirtschaftsmafia‘‘ soll vor das Gericht gestellt werden. Die Verhandlungen laufen noch. Wie es weiter geht, wird die Zukunft zeigen.

Text: Lazar Smiljkovic
Faktorartikel: Heft 01/2014 - Seite 22-23