Orbáns Ungarn, die Corona-Krise und die Demokratie

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Die Ausbreitung der CoVid-19 Pandemie hat sich auch hierzulande bereits seit einigen Wochen als ernstzunehmende Staatskrise herausgestellt. In Krisenzeiten zeigt sich, wie gut ein Gesundheitssystem und eine Regierung aufgestellt sind.

Wesentlich dabei sind auch die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Politiker*innen, der Medien und der Journalist*innen, die stark zur Stimmungs- und Meinungsbildung der Bevölkerung beitragen. Ihre Aufgabe ist es, neben der Bewältigung der Krise, keine Panik zu verursachen, aber gleichzeitig sachlich über die aktuelle Situation zu informieren. Im Falle der Medien wäre dies, eine unabhängige Kontrolle und Reflexion der von der Politik gesetzten Maßnahmen zu gewährleisten. Denn in Ausnahmesituationen und Krisen ist es oft einfach für Machthaber*innen, die Situation zu missbrauchen, demokratische Rechte und Freiheit einzuschränken und auszuhöhlen.

Die Kontrolle durch unabhängige Medien und Opposition wird im Nachbarland Ungarn zukünftig wieder einen gewaltigen Schritt schwieriger sein. Die Demokratie wird in Ungarn während der Krise weiter ausgehöhlt. Grund dafür ist ein Corona-Notlagengesetz des Premierministers Victor Orbán und seiner rechtsnationalen Fidesz Partei, welches sich im zweiten Durchgang durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im ungarischen Parlament nicht mehr verhindern ließ. Die Abstimmung ging mit 138 Stimmen zu 53 Gegenstimmen der chancenlosen Opposition aus.

Wer sind Victor Orbán und die Fidesz Partei?

Orbán ist Mitbegründer und, mit einer Unterbrechung, seit 1993 Vorsitzender der nationalkonservativen Partei Fidesz – ungarischer Bürgerbund. Die Partei gehört europaweit zur Europäischen Volkspartei (EVP), gilt aber aufgrund der zunehmend autoritären Entwicklung ihrer Politik auch in deren Kreisen als umstritten. Der Populist Orbán ist seit 2010 durchgehend Premierminister, und war davor schon von 1998 bis 2002 an der Macht.

Für Aufregung und internationale Kritik an der Partei sorgten in der Vergangenheit beispielsweise der unmenschliche Umgang mit Flüchtlingen: in sogenannten Transitzonen, in denen Asylanträge gestellt werden können, herrschen gefängnis-ähnliche Zustände. Geflüchteten Menschen wird zeitweise die Essensausgabe verweigert, sie dürfen die umzäunten und streng bewachten Lager nicht verlassen und sich nur einmal pro Woche von ihrem Geld Essen kaufen lassen. Viel weiß man über die Situation in den Lagern jedoch nicht, da Journalist*innen der Zugang verweigert wird.

Neben solchen Menschenrechtsverletzungen gab und gibt es in Ungarn durch Orbán eine schleichende Transformation hin zu einer Diktatur. Orbán hat die Demokratie nicht auf einmal abgeschafft, sondern nach und nach verändert. Die wichtigsten demokratischen Elemente Ungarns wie die Medien, die Gericht und die Universitäten werden mittlerweile weitgehend von der Fidesz-Partei kontrolliert. 2011 ließ Orbán auch das oberste Gericht abschaffen, um stattdessen eine neue Institution zu gründen, die dessen Platz einnimmt, jedoch mit parteinahen Jurist*innen und Richter*innen. Die genannten Änderungen sind nur einige Beispiele für den Umbau Ungarns.

Der Staatsumbau wurde nicht ohne Gegenwehr vollzogen. Immer wieder zogen tausende Demonstrierende durch die Straßen von Budapest, um gegen geplante Maßnahmen zu kämpfen. Auch die Opposition bemüht sich dem entgegenzuhalten, hat jedoch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament wenig bis gar keine Möglichkeiten.

Keine neue Entwicklung, sondern ein kontinuierlicher Trend

Das Notstandsgesetz ist daher keine neue Entwicklung in Ungarn, sondern Teil eines kontinuierlichen Wandels. Der internationale Aufschrei zeigt jedoch, dass nun eine wichtige Grenze überschritten ist.

Fortan ist es dem ohnehin schon mit vielen Befugnissen ausgestatteten Premier Orbán möglich, ohne das Parlament auf Basis von Verordnungen zu regieren. Oppositionsarbeit, die zuvor schon fast unmöglich war, wird nun so gut wie abgeschaltet, das Parlament defacto entmachtet. Dies erfolgt auf unbegrenzte Zeit. Der Notstand soll solange anhalten, bis die CoVid-19-Krise laut Orbán beendet ist, was jedoch nicht anhand von Kriterien definiert und festgelegt wurde und damit frei ausgelegt werden kann. Auch Wahlen und Referenden dürfen bis zur Beendung der Krise nicht abgehalten werden. Nur die Parlamentswahlen im Jahr 2022 können damit nicht verhindert werden, denn dafür bräuchte es eine Änderung der Verfassung, was jedoch mit den Mehrheitsverhältnissen im Parlament trotzdem umgesetzt werden könnte.

Besonders heikel sind auch die neuen Gesetze zur Androhung von hohen Haftstrafen für die Verbreitung falscher Informationen, die die Regierung im Kampf gegen die Gesundheitskrise behindern würden. Kritiker sehen damit die Arbeit unabhängiger Journalist*innen gefährdet. Vor enorme Herausforderungen stellt Journalist*innen auch der Mangel an verfügbaren Informationen. Es werden weder Pressekonferenzen abgehalten, auf denen man Fragen stellen könnte, noch gibt es die Möglichkeit an wichtige Informationen vor allem in Verbindung mit dem Gesundheitssystem zu gelangen.

Wie kann der Entwicklung entgegengehalten werden?

Theoretisch wäre die Nationalversammlung, also das Abgeordnetenhaus von Ungarn, rechtlich dazu in der Lage, Orbán die durchgesetzte Ermächtigung zu entziehen. Allerdings besitzt die Fidesz-Partei dort eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was diesen Machtentzug unmöglich macht. Durch Oppositionsarbeit kann die Abschaltung des Parlaments nicht rückgängig gemacht werden.

Das Verfassungsgericht hat bereits angekündigt die Regierung nun verstärkt zu kontrollieren. Der Verfassungsgerichtshof darf, im Gegensatz zum ungarischen Parlament, weiterhin Sitzungen auch per Videokonferenz abhalten. Allerdings darf das Verfassungsgericht nur auf Anweisung der Gerichte handeln, welche jedoch ebenfalls von Orbán und seiner Partei kontrolliert werden, Eingaberechte für Parlamentsabgeordnete gibt es nicht. Bereits in der Vergangenheit wurde der Verfassungsgerichtshof sukzessive entmachtet, wie beispielsweise 2013, wo ein verfassungswidriges Gesetz von diesem aufgehoben wurde und die Regierung daraufhin kurzerhand die Verfassung selbst änderte und das Gesetz wiedereinsetzte.

Die einzige Möglichkeit der Situation entgegenzutreten ist international Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Seitens einiger Mitgliedsstaaten der EU kam bereits heftige Kritik, 14 Länder unterschrieben eine Erklärung, die vor Eingriffen in Grundrechte im Zuge der Corona-Krise warnt. Österreich hat diese Erklärung nicht unterzeichnet, mit der Begründung man wolle lieber auf Gespräche mit Orbán setzen. Außerdem riefen einige Mitglieder der Europäischen Volkspartei auf, die Fidesz-Partei aus dem europäischen Parteienverbund auszuschließen.

Die Reaktion des Bundeskanzler Kurz

Sebastian Kurz erwähnte in vielen Gesprächen, dass man sich in der aktuellen Lage nicht mit den Entwicklungen in einem Nachbarland auseinandersetzen kann, da man mit dem Coronavirus in Österreich alle Hände voll zu tun hat. Hier zeigt sich deutlich, dass sich der Bundeskanzler zu heiklen Themen, welche sich direkt vor der Haustür österreichs abspielen leiber keine Stellungnahme abgibt.

Österreich ist damit das einzige vor 2004 beigetretene EU-Mitglied, welches diese Erklärung nicht unterzeichnete. Bei den weiteren Nicht-Unterzeichner Staaten handelt es sich um die Visegrad-Länder Tschechien, Slowakei und Polen, sowie Malta und die konservativ geführten Regierungen Sloweniens, Kroatiens, Rumäniens, Bulgariens und Zyperns. Selbst Ungarn unterschrieb die Erklärung, in der Ungarn nicht direkt angesprochen wurde, sondern nur allgemein Sorge bekundet wurde.

Eine große Gefahr besteht in der Vorbildwirkung Ungarns und darin, dass andere Regierungen dem Beispiel folgen könnten. Die EU muss nun ein Zeichen setzen, dass es auch in Krisensituationen gewisse Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen.

Demokratie ist kein Luxusgut, mit dem man Tauschhandel betreiben kann

Immer wieder wird von verschiedenen Politiker*innen suggeriert, man könne und müsse in Krisenzeiten zwischen demokratischen Rechten, Datenschutz und Freiheit auf der einen Seite und Gesundheit und Sicherheit auf der anderen, entscheiden. Dabei wird ein Tauschhandel vorgeschlagen, der jedoch stark vereinfachend und in den allermeisten Fällen nicht notwendig ist. Im Falle Ungarns hatte die Regierung bereits vor dem Einsetzen des Notstandsgesetzes genügend Befugnisse, um mit der Situation umzugehen und den CoVid-19 Virus und den damit einhergehenden Problemen einzudämmen und entgegenzuwirken. Daher ist die Begründung Orbáns, die Gesetze würden eingesetzt, um bestmöglich, schnell und effizient handeln zu können, nur ein Deckmantel für die schrittweise Einführung einer Diktatur.

Grundrechte und Demokratie sind keine Luxusgüter, die wir uns nur leisten können, wenn wir gerade keine Schwierigkeiten haben. Nur mit, Solidarität, Dialog und internationaler Unterstützung lässt sich diese Krise überwinden.

Quellen:

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/ungarn-fluechtlinge-transitzonen-iran-asylpolitik/seite-2

https://www.derstandard.at/story/2000116300605/wie-orban-im-schatten-von-corona-nach-der-ganzen-macht

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/2056063-Parlament-in-Ungarn-de-facto-entmachtet.html